Diskurs

Diskussionsrunde #4 Verflechtungen von sozialer, ökologischer und Klimagerechtigkeit

19.05.2022
18:00 - 20:00 Uhr

online Veranstaltung, in englischer Sprache

Die Dokumentation der Veranstaltung gibt es hier

GÄSTE: Ayọ̀ Akínwándé, Rebecca Abena Kennedy-Asante (Black Earth Kollektiv), Fossil Free Culture NL, MODERATION: Ayasha Guerin

2019 betrug der durchschnittliche Primärenergieverbrauch in Deutschland 43 702 kWh pro Kopf. Auf dem afrikanischen Kontinent hingegen waren es laut Our World in Data nur 4220 kWh pro Kopf. Südafrika ist das einzige afrikanische Land, das mit einem Durchschnittsverbrauch von 25 620 kWh pro Kopf dem europäischen Durchschnitt von 31 160 kWh nahe kam. Diese Zahlen korrelieren in etwa mit den jährlichen CO2-Emissionen. Das bedeutet, dass eine Person in Deutschland im Jahr 2019 ungefähr zehnmal so viele klimaschädliche Treibhausgase verursacht hat wie eine Person in Afrika. Die Folgen des Klimawandels aber werden sich am stärksten in äquatorialen, tropischen und subtropischen Regionen bemerkbar machen, wo die Temperaturen in den kommenden 30 Jahren nie vorher dagewesene Höchststände erreichen werden. Ausgerechnet die Regionen, die historisch am wenigsten zum Erderhitzung beigetragen haben, werden am meisten unter ihren Auswirkungen leiden.

Die Präsenz europäischer Unternehmen in Afrika geht bis auf die Anfänge der europäischen Kolonisierung zurück und dauert ungeachtet der Dekolonisierungsprozesse in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute an. Dabei geht es auch und vor allen Dingen darum, Rohmaterialien für die westlichen Märkte und ihr energiehungrigen Lifestyles zu gewinnen. Ein Beispiel hierfür ist Shell, das 1956 nach einem halben Jahrhundert der Ölexploration im Nigerdelta fündig wurde. Das Unternehmen entstand 1907 aus einem Zusammenschluss von einem niederländischen und britischen Ölkonzern. Mitte des 20. Jahrhunderts war Royal Dutch Shell bereits eines der größten Mineralöl- und Erdgas-Unternehmen der Welt und darüber hinaus alleiniger Eigentümer der Ölförderrechte im Nigerdelta. Shell ist verantwortlich für Jahrzehnte der Ölverschmutzung, Umweltzerstörung, und Menschenrechtsverletzung im Zusammenhang mit der Ölförderung in der Region.

Ausgehend von Ayọ̀ Akínwándés Videoperformance Ogoni Cleanup, die in der Ausstellung Fossil Experience zu sehen ist, wird in der Diskussionsrunde Shells Verantwortlichkeit für die Folgen der Ölförderung im Nigerdelta diskutiert. Wie gehen Künstler:innen und Aktivist:innen mit den lokalen Auswirkungen der Erdölförderung sowie dem globalen Transfer von Kapital und Rohstoffen um? Was geschieht, wenn dieselben Unternehmen als Sponsoren im Bereich Kunst und Kultur auftreten? Welche Formen der Solidarität zwischen Kulturschaffenden im Globalen Norden und im Globalen Süden sind möglich? In der Diskussionsrunde geht es zugleich auch allgemeiner um dekoloniale Perspektiven auf Klima- und Umweltgerechtigkeit. Wie können die schwerwiegenden Traumata jahrhundertelanger, kolonialer und unternehmerischer wieder gut gemacht werden? Wie sollen Maßnahmen zur Anpassung an die Erderhitzung und die Reparatur andauernder Umweltverschmutzung finanziert werden? Welche Formen der Mobilisierung sind notwendig, um effektive Reparationszahlungen – inklusive ökologischer Entschädigungen – für postkoloniale Kontexte zu erwirken?

Ayọ̀ Akínwándé ist ein interdisziplinärer Künstler, Architekt, Kurator und Schriftsteller. Seine Werke behandeln politische Themen und Machtstrukturen und anhand von Medien wie Film und Fotografie, Installationen, Sounds und Performances. Dabei untersucht der Künstler die Machtverhältnisse in demokratischen Diskursen und die Beziehung zwischen den «Mächtigen» und den «Entmachteten», deren vielfältige Facetten sich nicht nur in der menschlichen Lebensrealität zeigen. Ayọ̀ Akínwándé lebt in Edinburgh.

Fossil Free Culture (FFC) ist ein Kollektiv von Künstler:innen, Aktivisten und Forscher, die an der Schnittstelle zwischen Kunst und Aktivismus für Klimagerechtigkeit arbeiten. Gegründet von Teresa Borasino und Daniela Paes Leao, haben sie sich erfolgreich für die Abschaffung des Sponsorings fossiler Brennstoffe im niederländischen Kultursektor eingesetzt. FFC entwirft Kampagnen, die aus partizipatorischen Performances, öffentlichen Interventionen, Filmen, Grafiken, Objekten und subversivem redaktionellem Material bestehen und die Verbindungen zwischen fossilen Brennstoffkonzernen und kulturellen Einrichtungen in Frage stellen. Nach ihren Interventionen beendete das Van Gogh Museum 2018 seinen Sponsoringvertrag mit Shell, das Concertgebouw folgte 2020 und das Nemo Science Museum 2021.

Rebecca Abena Kennedy-Asante (Abeni) studierte Naturheilkunde, Naturschutz und Ökologie in Berlin und Potsdam. Neben dem botanischen Interesse beschäftigt sich Abeni mit der Frage, wie die Unterdrückung marginalisierter Gruppen und die Ausbeutung von Ökosystemen zusammenhängen. Abeni ist Teil von Black Earth, einem BIPoC-Kollektiv für Umwelt- und Klimagerechtigkeit, das durch seine Existenz und Aktionen antirassistische, queere und ökologische Perspektiven in den Mittelpunkt stellt.

Ayasha Guerin ist eine interdisziplinäre Künstlerin, Wissenschaftlerin und Kuratorin. Sie hat einen PhD in American Studies der New York University und ist Juniorprofessorin für Black Diaspora Studies im Fachbereich Englisch an der University of British Columbia. Ayasha Guerin arbeitet mit Kunstformen, die gleichzeitig Formen des Aktivismus sind, und ist überzeugt, dass es zum Aufgabenbereich von Wissenschaftler:innen gehört, ihr Wissen in öffentlichen Interventionen und Ausstellungen mit anderen zu teilen. Ayasha Guerin lebt in Berlin und Vancouver.

Diese Veranstaltung findet im Rahmen des Projektes Fossile Erfahrung der Prater Galerie statt. Mehr Informationen zur Ausstellung und zum Begleitprogramm gibt es hier.

Fossile Erfahrung wird gefördert durch die Stiftung Kunstfonds, die LOTTO-Stiftung Berlin sowie mit Mitteln des Ausstellungsfonds für Kommunale Galerien und des Fonds für Ausstellungsvergütung für bildende Künstler:innen der Senatsverwaltung für Kultur und Europa, mit freundlicher Unterstützung von Förderband Kulturinitiative Berlin und der Schankhalle Pfefferberg.

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