Vier Ausstellungsprojekte befassen sich mit Themen und Fragestellungen, welche die Vergangenheit des Ortes mit seiner Gegenwart in einem breiteren postsozialistischen, postmigrantischen und globalen Zusammenhang in Beziehung bringen:
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Was bedeutet es, wenn eine kommunale Galerie nach einer mehr als zehnjährigen Pause in einer der gentrifiziertesten Gegenden des postsozialistischen Berlin neu eröffnet? Wie kann durch die Programmarbeit einer kommunalen Galerie ein vorsichtiger Umgang mit ihrem städtischen Umfeld gesucht und kritisch zu städtischen Aufwertungsprozessen Stellung genommen werden? Gängige Erzählungen über die Stadt, wie sie im Stadtmarketing oder von der Immobilienbranche präsentiert werden, lassen abweichende Vorstellungen von Stadt verstummen. Kollektive Eigentumsstrukturen, die aus Hausbesetzungen hervorgingen, selbstorganisierte Orte für Kunst und Kultur, (post)migrantische Netzwerke und Ökonomien wechselseitiger Unterstützung deuten auf vielschichtige, translokale und widerstandsfähige urbane Netzwerke hin. Welche Gegenerzählungen existieren in diesen Strukturen, in welchem Verhältnis stehen sie zueinander, wer kümmert sich um diese Narrative und setzt sie fort? Wie wurden und werden sie in der ästhetischen Praxis von Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen jenseits von Logiken der Vereinnahmung und weiteren Kommodifizierung aufgegriffen und bearbeitet?
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Die jüngste Publikation über den Berliner Prater wurde im Jahr 1987 vom ‚Kreiskulturhaus Prater‘ herausgegeben. Auf der Umschlagseite ist eine colorierte Postkarte abgebildet, die auf das Jahr 1912 datiert wird. In dieser Abbildung des Berliner Praters als Sommergarten ist auf der linken Seite eine Gruppe von Weißen Personen um mehrere Tische arrangiert, während auf der rechten Seite eine Schwarze Person neben einer öffentlichen Waage steht. An keiner Stelle der Publikation wird auf diese Fotografie, die darin enthaltenen Gesten des Zeigens und die Positionierung von Schwarzsein als Andersheit, die hier aus einer Weißen Perspektive vorgenommen wird, eingegangen. Warum galt die Postkarte im Kontext dieser Publikation als zeigenswert, während die Geschichten Schwarzer Personen im Berliner Prater und in der Stadt an sich selber keine Erwähnung fanden? Was bedeutet es, dass eine Fotografie, die offensichtlich während der deutschen Kolonialzeit (1884-1919) entstanden ist, im Jahr 1987 auf der Umschlagseite einer Publikation reproduziert und verbreitet wurde? Welche Erzählungen von Widerstand, von andauernder, antirassistischer Arbeit und der Selbstorganisation diasporischer und (post)migrantischer Gruppen sollten jene Räume besetzen, die in einer dekonstruktiven Arbeit an Archiven freigesetzt werden?
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Seit dem späten 19. Jahrhundert ist bekannt, welche Folgen die Verbrennung von Kohlenwasserstoffen hat, welche als Basiselemente in den fossilen Energieträgern Erdöl, Erdgas und Kohle enthalten sind. Ungeachtet dessen wurden fossile Energieträger aufgrund ihres energetischen Potenzials sowie ihrer stofflichen Zusammensetzung exzessiv abgebaut und für nahezu alle Bereiche industrialisierter Gesellschaften auch als petrochemische Produkte nutzbar gemacht. Wie ist die bedingte Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zustande gekommen? Welche Einblicke können forschungsbasierte künstlerische Praxen gewährleisten, die sich mit spezifischen Aspekten der Gewinnung von Erdöl, Erdgas und Kohle, deren Folgeerscheinungen und damit verbundenen Formen des politischen Widerstandes beschäftigt? Im Jahr 2019 erklärte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Pankow den Klimanotstand und in Antwort auf eine Volksinitiative zog auch die Berliner Verwaltung noch im selben Jahr nach. Auf lokalpolitischer Ebene bedeutet dies ein Zeichen der Anerkennung eines bestehenden Problems und entsprechenden Handlungsbedarfs. Die Energiewende und eine Umstellung industrieller Produktion sowie zahlreicher anderer gesellschaftlicher Bereiche stehen dringend an. Wie können Konzepte von Umwelt-, Klima- und sozialer Gerechtigkeit als zentrale Maßgaben für diese Wende gesetzt werden und zu einer kritischen Überprüfung von profitorientierten Lösungsvorschlägen beitragen?
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Im vierten Projekt des Auftaktprogramms werden die thematischen Fäden der vorangehenden drei Ausstellungen aufgegriffen und zusammengeführt. In Anlehnung an die vergangene Nutzung des Praters als Kinosaal wird die Prater Galerie mit einer großen Leinwand und einer Kinobox in ein Lichtspielhaus verwandelt. Künstler:innen, Kulturarbeiter:innen und Aktivist:innen werden eingeladen, Beiträge in Form von Filmaufführungen, Diskussionsrunden, und Performances zu gestalten, die die vergangenen Ausstellungsprojekte thematisch aufgreifen und darauf reagieren. Als ein Epilog zum ersten Programmjahr und zugleich eine strukturelle Öffnung wird mit diesem Format eine Kollektivierung erprobt im Hinblick darauf, wer zur Programmarbeit in der kommunalen Galerie beitragen, die Inhalte und Diskussionen bestimmen kann.