Diskurs

Diskussionsrunde #3 Fossiles Gas ist nicht nachhaltig

12.05.2022
18:00 - 20:00 Uhr

online Veranstaltung, in englischer Sprache

Die Dokumentation der Veranstaltung gibt es hier

GÄSTE: Christopher Basaldú, Rachel O’Reilly, Esteban Servat, MODERATION: Sumugan Sivanesan (Black Earth Kollektiv)

In den letzten zehn Jahren wurde Erdgas als Brückentechnologie auf dem Weg in eine fossilfreie Energiezukunft besprochen. Da Erdgas in der Verbrennung nur etwa halb so viel CO2-Emissionen verursacht wie Kohle, wird es oft als nachhaltigere Alternative dargestellt. Doch diese Perspektive lässt wichtige Aspekte im Materialzyklus bzw. in der Verarbeitungskette von Erdgas außer Acht. Erdgas ist ein fossiles Gas. Bei seiner Gewinnung entweicht Methan in die Atmosphäre, ein Treibhausgas, das weitaus klimaschädlicher ist als CO2. Methanemissionen entstehen beim kalkulierten Entlüften oder Abfackeln und durch undichte Stellen in allen Phasen der Produktion, Lagerung, im Transport und bei der Nutzung. Flüssigerdgas (LNG) verbraucht besonders viel Energie, da das fossile Gas auf −160°C abgekühlt werden muss, um seine flüssige und komprimierte Form zu erreichen. So kann es ohne Pipelines über weite Entfernungen transportiert werden; die dafür notwendigen Frachter werden wiederum mit Gas oder Schweröl betrieben.

Trotz seiner de facto negativen Klimabilanz erklärte die Europäische Kommission Erdgas, wie auch Atomenergie, Anfang 2022 für nachhaltig. Diese Taxonomie fördert Investitionen in den Ausbau klimaschädlicher, fossiler Energieinfrastruktur. Um unabhängiger von russischen Erdgaslieferungen zu werden, setzt Deutschland dabei vermehrt auf LNG und treibt den Bau von Importterminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Stade voran. Welche Orte und Lebensrealitäten befinden sich auf der anderen Seite dieser globalen Import-Export-Infrastruktur?

In dieser Diskussionsrunde werden gängige Argumente um das Thema Erdgas, auch im Hinblick auf eine Transformation hin zu fossilfreien Gasen, kritisch in den Blick genommen. Zugleich geht es darum, wie Erdgas und insbesondere unkonventionelles Erdgas, das einen zunehmenden Anteil des weltweiten Verbrauches ausmacht, gewonnen wird. Steigende Weltmarktpreise tragen dazu bei, dass energie- und kostenintensive Technologien wie das Hydraulic Fracturing (Fracking) ökonomisch rentabel werden. Fracking ist eine äußerst gefährliche und umweltschädliche Technologie für den Abbau von unkonventionellem Gas, die in weiten Teilen Europas zurecht verboten ist. Zugleich profitiert die europäische Wirtschaft aber von der Gewaltbereitschaft anderer Nationalstaaten, die in Zusammenarbeit mit Energiekonzernen ungeachtet der Folgen für lokale Ökosysteme unkonventionelles Gas an die Oberfläche bringen.

Wo Nationalstaaten wie Australien und die USA auf Energiesicherheit und potenzielle Exportmärkte spekulieren, geht die Förderung von unkonventionellem Gas mit anhaltender siedlungskolonialer Gewalt einher. In der Diskussionsrunde werden Landenteignungen und die Gefährdung von Wasser thematisiert in Situationen, in denen die Macht von Konzernen durch souveräne indigene Rechtssysteme und Forderungen nach Klima- und Umweltgerechtigkeit in Frage gestellt wird.

Christopher Basaldú, PhD, ist Esto’k Gna (Mensch), ein Mitglied des Carrizo Comecrudo Tribe of Texas. Dr. Basaldú wuchs in Brownsville und in Corpus Christi, Texas, auf, bevor er an der Harvard University den Bachelor of Arts in Religionswissenschaften erwarb. Er schloss ein Masterstudium in American Indian Studies ab und promovierte anschießend in Anthropologie, beides an der Universität von Arizona. Dr. Basaldú lebt derzeit in Brownsville und setzt sich an der Seite seines Stammes und seiner Community für den Schutz heiliger Stätten, heiligen Landes und heiliger Gewässer ein.

Rachel O’Reilly ist Künstlerin, Schriftstellerin, unabhängige Wissenschaftlerin und Kuratorin. Sie wurde in Gladstone in Queensland, Australien, auf dem rechtmäßigen Land der Gooreng-Gooreng geboren. Ihre künstlerischen Arbeiten erkunden die Beziehung von Kunst und lokalen Kulturpraktiken, Medienphilosophie und politischer Ökonomie. In den letzten zehn Jahren hat sie sich auf Infrastrukturen von Kunst und Energie, Fragen über Gesetz und Governance und die Dringlichkeit des Überlebens auf der Erde konzentriert. Ihr künstlerisches Recherche-Projekt The Gas Imaginary (2013–2019) verbindet Poesie, Animationen, Installationen, Dokumentarfilm und öffentliche Vorträge, um die rassistische und umweltzerstörerische Logik der Ausweitung von Fracking zur Gewinnung von unkonventionellem Gas im siedlerkolonialen Raum zu erörtern. O’Reilly unterrichtet am Dutch Art Institute und ist Doktorandin am Centre for Research Architecture der Goldsmiths University of London.

Esteban Servat ist ein exilierter, argentinischer Wissenschaftler und Umweltaktivist. Nachdem er zehn Jahre im Silicon Valley gearbeitet hatte, kehrte er nach Argentinien zurück, um dort eine Selbstversorger Community aufzubauen. Als die Regierung in dieser Gegend, die zur Vaca Muerta gehört, mit dem Fracking begann, wurde Servat zum Aktivisten. Als Mitbegründer von EcoLeaks und Initiator einer großen Anti-Fracking-Bewegung geriet Servat schnell ins Visier der Regierung und wurde schließlich dazu gezwungen, sein Land zu verlassen. In Europa setzt er seinen Aktivismus fort und trägt bei zur Vernetzung von Umweltgruppen über Kontinente und Kontexte hinweg. Im Zuge dessen hat er Bewegungen und Netzwerke wie Shale Must Fall und die Global Coastline Rebellion initiiert und mit aufgebaut.

Sumugan Sivanesan ist ein anti-disziplinärer Künstler, Wissenschaftler und Schriftsteller. Er arbeitet oft in Kollaborationen und interessiert sich für politische Ontologie, aktivistische Medien, Minderheitenpolitik und Mehr-als-Menschenrechte. Gegenwärtig baut er das Projekt fugitive radio auf, eine Plattform für migrantische, antikoloniale und queere Themen und Musik, in Helsinki und darüber hinaus. In Berlin ist er Mitglied des Black Earth Kollektivs, das zu den Verflechtungen von Rassismus, Gender, Kolonialismus und Klimagerechtigkeit arbeitet. Sivanesan promovierte am Forschungszentrum Transforming Cultures der University of Technology Sydney (2014) und war Postdoc am Institut für Anglistik und Amerikanistik (Kulturwissenschaften) der Universität Potsdam (2016), wo er zur urbanen Umweltpolitik im Anthropozän forschte.

Diese Veranstaltung findet im Rahmen des Projektes Fossile Erfahrung der Prater Galerie statt. Mehr Informationen zur Ausstellung und zum Begleitprogramm gibt es hier.

Fossile Erfahrung wird gefördert durch die Stiftung Kunstfonds, die LOTTO-Stiftung Berlin sowie mit Mitteln des Ausstellungsfonds für Kommunale Galerien und des Fonds für Ausstellungsvergütung für bildende Künstler:innen der Senatsverwaltung für Kultur und Europa, mit freundlicher Unterstützung von Förderband Kulturinitiative Berlin und der Schankhalle Pfefferberg.

Medienpartner: